Dienstag, 5. April 2016

weltwärts-Zwischenseminar in Hermanus

Es ist Halbzeit! Sechs Monate wohne, arbeite und lebe ich ich nun schon in Kapstadt. Abpfiff. Die Halbzeitpause verbringen wir Freiwillige in Standford, einem kleinen Dorf in der Nähe der Küstenstadt Hermanus, zwei Stunden außerhalb von Kapstadt.
Lange Zeit vor dem Seminar wusste ich nicht zu sagen, ob ich nun „schon“ sechs Monate hier bin oder „erst“ sechs Monate. Ein halbes Jahr ist lang. Gar keine Frage. Ich kann mich noch sehr genau an den Tag erinnern, an dem ich mich von Frankfurt auf nach Kapstadt gemacht habe: graues Wetter, aufgeregt war ich, doch nicht unerträglich. Und das schien mir sehr lang her. Ein Tag, irgendwo in der Vergangenheit. Doch dann denke ich an all die Dinge, die ich bislang in Südafrika erleben durfte. Ich lese mich durch mein Tagebuch – und es fühlt sich an wie gestern. So lang können die sechs Monate doch nicht gewesen sein, oder?
Über solches und anderes haben wir uns während des Zwischenseminars Gedanken gemacht. Wir, die 27 SAGE Net-Freiwilligen und ein weiteres Dutzend externer Freiwilliger von anderen Entsendeorganisationen. Zusammen haben wir fünf Tage in Standford verbracht. Gewohnt haben wir in Lodges an einer wunderschönen Lagune.
Teil des Programms waren verschiedene Themen. Zunächst haben wir Freiwillige unsere Projekte vorgestellt. Da wir nicht nur in ganz Südafrika verstreut sind, sondern auch von unterschiedlichen Organisationen entsendet wurden, gab dies einen kunterbunten Einblick in die Vielfalt der sozialen Projekte, die es in Südafrika gibt. Jugend- und Erwachsenenarbeit, Projekte um mentale Gesundheit, Sozialarbeit, kulturelle und künstlerische Projekte, ökologische Projekte, verschiedene Schulen mit Schülern mit unterschiedlichen Hintergründen, Entwicklungsprojekte.
Ebenfalls haben wir gemeinsam über unsere Herausforderungen gesprochen. Was haben wir erlebt? Was hat uns mitgenommen? Woran sind wir gescheitert? Über welche Hürden sind wir gesprungen? Was erwartet uns? Parallelen zwischen den einzelnen Freiwilligendiensten zeigten sich. Fast jeder von uns hatte Probleme beim Einstieg in die Arbeit, fühlte sich einmal unter- oder überfordert, hatte Stress mit Kollegen oder dem Vorgesetzten, kam mit der Aspekten der südafrikanischen Gesellschaft nicht zurecht, fühlte sich in der Unterkunft nicht wohl.
In meinem Fall kam mir eine Frage in den Kopf, an die ich zuvor nicht gedachte hatte. In wie weit haben sich die anfänglichen Erwartungen an den Freiwilligendienst letztendlich bewahrheitet? Was waren meine Motivationen an den Dienst, als ich mich im Frühjahr 2015 beworben habe? Treffen diese immer noch zu?
Meine Motivation war deutlich: Ich wollte (er)wachsen. Ein Freiwilligendienst im Ausland konfrontiert den Freiwilligen mit unzähligen Hürden und Herausforderungen. Diese mögen sich nicht groß von denen unterscheiden, denen man sich in Deutschland beim Eintritt ins Studentenleben hätte stellen müssen, doch ist in einem fremden Land alles fremd: öffentlicher Transport, Sprache, Kultur, erstmals nicht mehr im Hotel „Mama“ wohnen, neue Menschen, neue Umgebung. Und doch sorgt die Fremde dafür, dass man vieles als Herausforderung wahrnimmt und an dieser schließlich wächst – vielleicht mehr als wäre man in Deutschland geblieben.
Und was sagt nun der Status Quo? Herausforderung habe ich bislang genug gehabt. Im Großen wie im Kleinen. Wie beschrieben, sieht man im Ausland vieles als Herausforderung an, was in der Heimat gar nicht auffallen würde. Täglich in einer pluralistischem Arbeitsstätte arbeiten, täglich Minibustaxi fahren, täglich auf umständliche Art und Weise das Rückgeld im Supermarkt annehmen (dieses wird einem mit Kassenzettel und Geldscheinen und Münzgeld auf einmal in die Hand gedrückt). Bin ich daran nun gewachsen? Jedenfalls wurde ich selbstständig. Hotel „Mama“ bietet Annehmlichkeiten, die man ungern missen will, doch auf eigenen Beinen stehen kann ich nun schon – irgendwie. Wie sehr ich letztendlich (er)wachsen bin, kann ich wohl am Ende dieses Freiwilligendienstes beurteilen – wenn ich meine Familie und Freunde nach einem Jahr Abwesenheit wiedersehe.
Mit der intensiven Erfahrungen von einem halben Jahr Südafrika haben wir uns während des Seminars ebenfalls mit gesellschaftlichen Themen auseinandersetzten müssen. Schließlich sind wir nach einem halben Jahr schon irgendwie erfahren – und gleichzeitig noch ziemlich blutig.
„Blacks can't be racist!“
Eine Aussage, zwei Gruppen. Das Stöhnen war groß bei denen, die in der anstehenden Diskussion diese Aussage verteidigen mussten. Schließlich haben wir alle schon Situationen erlebt, in denen wir, als Weiße, aufgrund unserer Hautfarbe diskriminiert oder wenigstens stigmatisiert wurden. Beispiele?
  • Als Weißer muss man ab und an etwas mehr im öffentlichen Verkehr bezahlen.
  • Der Black Economy Empowerment Act (BEE) bevorzugt unprivilegierte Schwarze bei der Einstellung in ein Berufs- oder Studienverhältnis.
  • Eines nachts waren wir in einer Gruppe im Township Langa feiern – einige Weiße und natürlich schwarze Locals, die sich auskannten. Als wir auf dem Rückweg durch die Straßen Langas gelaufen sind, rief eine schwarze junge Frau uns etwas auf Xhosa hinterher. Unsere Freunde aus Langa schauten ihr entsetzt hinterher und sagt uns schließlich, dass sie hoffe, dass uns jemand die Kehle durchschneide. Dass sie sauer auf uns war, dass wir Weißen, vor allem die Mädchen in unserer Gruppe, ihr „ihre“ Jungs wegschnappen würden, ist noch irgendwie nachvollziehbar, aber...
Ist das nicht rassistisch?
Was hat sich denn dieser Steve Biko dabei gedacht, als er diese Aussage getroffen hat? Schließlich hat Biko die berühmte Black Consciousness-Bewegung in Südafrika in Gang gesetzt, eine gewaltfreie und auf christlichen Werten beruhende Bewegung der Schwarzen während der Apartheid.
Ebenfalls fand eine Art State of the Nation-Ansprache statt. Dafür wurde ein Gastredner eingeladen, der einen Nachmittag vor versammelter Mannschaft Fragen von uns Freiwilligen zu den Themen Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung beantwortete. Präsident Jacob Zuma hielt im Februar die alljährliche Regierungsansprache zur Lage der Nation. An diesem Tag durften unsere Fragen beantwortet werden.
Mit viel Pädagogik und mit vielen Gesprächen endete das Zwischenseminar. Motiviert und gestärkt bin ich aus diesem gegangen. Anfangs war ich mir nicht sicher, wie sehr mir dieses Seminar helfen sollte, denn wie fast jeder andere Freiwillige auch reflektiere ich ständig meine Situation und Lage. Doch vor allem der intensive Austausch mit anderen Freiwilligen half mir doch weiter. Wie gesagt, an Motivation fehlt es mir nicht, die zweite Spielhälfte meines Freiwilligendienstes anzugehen.

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